FASTNACHT AUF PORTUGIESISCH – EINE URALTE TRADITION
22 Oktober 2019
MÁSCARAS IBÉRICAS:
DAS MASKENFEST VON LAZARIM
TEXT: MATTHIAS KÜHN
FOTOS: RALF SIEGELE
Im portugiesischen Örtchen Lazarim weiß man, wie man sich stilgerecht auf die fünfte Jahreszeit vorbereitet: Schon Wochen vor dem eigentlichen Karneval wird jeden Sonntag gefeiert! Wer aber an den närrischen Tagen selbst in den abgelegenen Ort reist, erlebt opulente Fastnacht in einer archaischen Form, die wohl in ganz Europa einzigartig ist.
518 Einwohner wurden 2011 in Lazarim gezählt. Das beschauliche Dorf liegt im Kreis Lamego, was den meisten sicher auch nicht weiterhilft. Immerhin ist diese kleine Kreisstadt im Norden Portugals Bischofssitz – und eines der Zentren des Weinbaugebiets Alto Douro. Wer nun aber nach Lazarim reist, begibt sich eine völlig andere Welt: Hier ist die Zeit irgendwann einmal stehengeblieben, wovon gleich mehrere Ruinen alter Klöster auf dem Hinweg zeugen. Eine einzige Straße führt in den Ort.
Zur Fastnachtszeit wird die stehengebliebene Zeit im Ort so greifbar wie sonst wohl nie. Denn die Menschen hier haben sich eine Tradition bewahrt: ihren ureigenen Karneval. Der beginnt am vierten Sonntag vor dem Fastnachtssonntag – und endet am Fastnachtsdienstag. Der Karneval in Lazarim wird seit Jahrhunderten nach festgelegten Ritualen vorbereitet und begangen. Angeblich geht das Fest auf römische Sitten zurück: Die Römer feierten im Winter tagelang zu Ehren des Gottes Saturn.
Schon am ersten Sonntag der Feierlichkeiten sieht man hier und da Maskierte mit Strohumhängen oder in bestickten Leinentüchern durchs Dorf huschen. Die ersten beiden Sonntage über bleiben die Feierlichkeiten eher im Privaten, so richtig los geht es zwei Wochen vor dem Fastnachtssonntag – dem Sonntag der Compadres. Die Compadres, also die Männer, sind über die kompletten fünf Wochen aktiv, denn sie fertigen Jahr für Jahr neue Masken an, die im Mittelpunkt des örtlichen Karnevals stehen: Viele der Masken tragen riesige Hörner, manche zeichnen sich durch ein extrem ausladendes Kinn aus. Was die Compadres in dieser Zeit anfertigen, kann sich sehen lassen, ob männliche Masken für die Caretos mit ihren Knüppeln oder weibliche für die Senhorinhas – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Alle Masken werden aus Erlenholz gefertigt, das sich an den frisch geschlagenen Schnittstellen blutrot verfärbt.
Ergänzt werden die Compadres durch die Comadres: Das sind die Frauen, denen der letzte Sonntag vor den Hauptfeierlichkeiten gehört. Auch die Comadres haben einiges zu tun während der Vorbereitung auf den eigentlichen Karneval. Sie sammeln Geld fürs Fest und für die zwei Puppen, die sie dann aus Holz und Textilien herstellen: je einen Compadre und eine Comadre, die am Fastnachtsdienstag auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Alles, was in dieser Zeit abläuft, zielt auf den Abschluss am Dienstag; in dieser klaren Fokussierung auf das Ende des Karnevals und den Beginn der Fastenzeit spiegelt sich die entbehrungsvolle Vergangenheit wider: Wenn in diesen Tagen überall auf den Straßen gekocht und gegessen wird, erinnert das an eine Notwendigkeit aus alten Zeiten. Bevor das Fasten begann, mussten nämlich die verderblichen Reste verbraucht werden. Also wurde auch das kleinste Stückchen Fleisch, das sich noch irgendwo fand, von der Gemeinschaft des Dorfes vertilgt.
Der richtige Rummel beginnt am Nachmittag des Fastnachtssonntags, wenn alle Mascarados polternd durchs Dorf ziehen, teilweise auf Eseln. Musik spielt auf, laut und misstönend, Volkstänze werden aufgeführt und überall wird an Kochstellen Essen zubereitet. Niemand weiß aber, wer sich hinter welcher Maske verbirgt, selbst das Geschlecht bleit unklar. Zu den Masken passen die Kostüme, die ebenfalls dazu dienen, Identitäten zu verhüllen; die sind rustikal und oft eher grob; es überwiegen Stroh und derbes Leinen. Für auswärtige Besucher bleibt das alles ein Buch mit sieben Siegeln – ein äußerst faszinierendes allerdings.
Männer und Frauen bleiben in getrennten Gruppen aktiv, die Gemeinde scheint während dieser Zeit heillos gespalten. Doch das täuscht – an den Karnevalstagen begegnen sich zwar zwei Gruppen in den Gassen von Lazarim, die sich hinter Masken verbergen, doch oft stecken hinter den Caretos Frauen und hinter den Senhorinhas Männer. Noch weiß niemand, wer wer ist. Aber alle machen sich in kleinen Aktionen über die Geschehnisse im Dorf lustig.
Am Dienstag dann, dem Abschlusstag also, erwartet die Einheimischen und die wenigen Besucher, die sich an Ruinen und Obstwiesen vorbei ins Dorf getraut haben, das Hauptereignis: Jetzt kommt es zum farbenfrohen Festzug – und schließlich zum mit Spannung erwarteten Verlesen der Testamente.
So manchen Einwohnern wird dabei ein Spiegel vorgehalten, Fehler und Eigenarten werden in kunstvollen Reimen angeprangert. Wie das Erbe ausfällt, weiß jeder – dennoch sind alle äußerst gespannt. Zunächst werden die Testamentsvollstrecker bestimmt, dann wird unter dem Gejohle der Dorfbewohner marktschreierisch vom Balkon aus gelesen.
Ein Junge verliest das gereimte Erbe der Comadres, ein Mädchen das der Compadres, im ständigen Wechsel. Es ist ein wahres Gefecht, das hier zur Aufführung kommt, ein Kampf der Geschlechter, vielstimmig kommentiert und belacht. Ist diese Abrechnung abgeschlossen, teilen sich die Erben symbolisch einen Esel untereinander auf und verbrennen die Puppen: Compadre und Comadre werden dem Feuer anvertraut. Und schließlich werden in einer weiteren Zeremonie die Masken einzeln abgenommen – die Anonymität wird also aufgehoben. Jetzt weiß jeder, wem er welchen Streich zu verdanken hat. Diese Auflösung hat immerhin den Effekt, dass sich niemand zu viel herausnehmen kann während der wilden Jagden durchs Dorf.
Alle, die am Festzug teilgenommen haben, versammeln sich um das Feuer. Auch hier gibt es wieder etwas zu essen: Traditionell werden zum Abschluss einfache Gerichte wie Bohneneintopf und Mehlsuppe gereicht, dazu Wein. Dann kann die Fastenzeit beginnen. Und mit ihr der Frühling, der das Leben rundum erneuert – bis im nächsten Winter wieder alles zu Ende geht.
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