JANITSARI, BOULES UND VIEL, VIEL FLEISCH: KARNEVAL AUF GRIECHISCH

19 September 2019

FASTNACHT ORTHODOX – URALTE TRADITION IN NAOUSSA

TEXT: MATTHIAS KÜHN

FOTOS: RALF SIEGELE

Apokries – das ist Fastnacht in Griechenland. Nicht nur die Bezeichnung ist anders, auch der Termin: Da die Griechen Ostern nach dem julianischen Kalender feiern, liegen dort auch die närrischen Tage zumeist abseits unserer Fastnacht. Eine der absoluten Hochburgen der Tradition ist Naoussa. Dort wird laut, ausdauernd und sehr traditionsbewusst gefeiert.

Naoussa Karneval Apokries Janitsari Griechenland

Gelebte Traditionen finden sich häufig in Griechenland und die meisten Traditionen haben mit dem Glauben zu tun. Was bei uns kaum jemand weiß: Im südosteuropäischen EU-Land ist das orthodoxe Christentum sogar als Staatsreligion in der Verfassung verankert. Das Hauptfest der Orthodoxen ist nach wie vor Ostern, wenn die Fastenzeit sehr feierlich endet. Aber sie beginnt laut – in Naoussa mit einem echten Paukenschlag.

Wenn in Naoussa die Fastenzeit bevorsteht, lässt sich das schnell erahnen. Fastenzeit heißt hier in erster Linie Fleischverzicht – apo kries bedeutet dasselbe wie carne vale: Leb wohl, Fleisch! Bevor es losgeht mit dem Fasten, wird also noch einmal richtig reingehauen. Nun ist die griechische Küche sowieso fleischreich, die Mengen sind dann aber doch auffallend riesig. Souflaki-Buden, Grills vor Tavernen, Garküchen, überall werden Fleischberge angeboten.

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Das Straßenfest von Naoussa findet an zwei Sonntagen statt – und endet am „Sauberen Montag“, dem orthodoxen Fastnachtsmontag, an dem in Griechenland die Fastenzeit beginnt. Offiziell ist der Start ins örtliche Apokries mit dem Auftauchen der Hauptfiguren verbunden, den charakteristischen Janitsari und den Boules, die eine Woche vor dem Fastnachtssonntag vormittags nach und nach die Stadt bevölkern. Es beginnt mit einem Paukenschlag: Eine Trommel macht auf sich aufmerksam, zunächst durch einen langsamen Rhythmus. Nach und nach wird sie stärker geschlagen, dann wird sie schneller, ein Blasinstrument steigt ein, eine Souzá, die ähnlich klingt wie eine Klarinette, sie spielt eine Melodie – es sind orientalische Töne, die an die Ohren der Menschen gelangen. Für viele Touristen beginnt das Fest mit diesem Paukenschlag.

Die Kenner allerdings sind da schon lange auf den Beinen, denn das Fest verlangt eine Vorbereitung von mehreren Stunden: Die Janitsari dürfen nämlich ihre Tracht nicht selbst anziehen, jeder einzelne benötigt mehrere Helfer aus seiner Familie. Da muss jedes Detail sitzen, denn auch nach einem langen Tag mit viel Tanzerei sollen die Kostüme noch sitzen, nichts darf verrutschen. Nicht die Schnurrbärte aus Pferdehaar, nicht die Masken, die mit Wachs befestigt werden, nicht die Seitenflügel der Westen. Und so wird das Ankleiden als wichtiger Teil des Festes zelebriert. Der dient auch dazu, den Schaulustigen alles über Trachten und Brauchtum zu erzählen. Für die Touristen wird das dann mühsam übersetzt: Alles hängt wohl zusammen mit dem uralten Konflikt zwischen Griechen und Türken, mit osmanischen Belagerungen, mit Vertreibungen und Grenzverschiebungen. Die Türkei ist weit weg von Naoussa, nah liegt die mazedonische Grenze, die erreicht man in weniger als einer Stunde. Kaum länger fährt man nach Albanien oder Bulgarien. Aber es sind die Türken, die im Zentrum der Erinnerungen stehen.

Also erzählen die orientalischen Klänge der Souzás von der Befreiung aus türkischer Belagerung? Ja, heißt es, der Brauch gehe mindestens auf die Revolution von 1821 zurück, aus der die Griechen ihren Nationalfeiertag am 25. März beziehen, vielleicht noch weiter. Und dann kriegen sich die Einheimischen über Ursprung und Bedeutung des örtlichen Karnevals in die Wolle – es wird heftig widersprochen, Kopfschütteln und wegwerfende Handbewegungen signalisieren, dass alles anders war. Revolutionärer, gar religiöser Freiheitskampf? Nein, es sind dionysische Rituale, der Ursprung liegt also in der Antike, die Janitsari sind Dionysos-Jünger. Nein, heißt es wiederum, ganz falsch, es war Alexander der Große, um dessen Grab sich Mythen ranken, das aber hier liegen soll – der Brauch soll den genauen Grabesort verschleiern.

Immerhin steht fest: Das Kostüm der Janitsari ähnelt stark der Uniform der Evzonen, der königlichen oder präsidialen Leibgarde, die man am Syntagma-Platz in Athen bei Wachablösungen beobachten kann. Die Evzonen gehen auf die Antike zurück, spielten aber als Eliteregiment immer dann eine Rolle, wenn es um Belagerungen und Besatzungen ging. Haben vielleicht alle Seiten ein bisschen Recht? Übrigens wurde die Evzonen-Uniform, die wie das Kostüm der Janitsori über Bommeln und weiße Socken verfügt, angeblich von Amalie von Oldenburg entworfen, die Prinzessin von Bayern war – und Königin von Griechenland.

Wenn die Janitsari endlich angekleidet sind, verabschieden sie sich überaus pathetisch von ihren Helfern und ziehen zum allgemeinen Treffpunkt im Zentrum. Dort stoßen die Musiker dazu – und die Boules, die zweite Hauptfigur der hiesigen Fastnacht. Die Boules begleiten die Janitsari. Sie sind deutlich in der Unterzahl und eher schmückendes Beiwerk: Es sind als Frauen verkleidete Männer, die als „Tanzpartnerinnen“ der Janitsari deren Pracht zur Geltung bringen sollen.

Etwa um Mittag ist die Gruppe dann im Zentrum versammelt. Dort ist die Menschenmenge ordentlich angewachsen. Inzwischen gesellen sich zu den Einheimischen immer mehr Touristen, auch die Händler und die Wirte haben sich darauf eingestellt. Daher gibt es neben Gegrilltem und Getränken auch Touristenware zu kaufen. Die Ursprünglichkeit aber ist erhalten geblieben – und die Menschen begegnen den ausländischen Gästen mit uneingeschränkter Herzlichkeit. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aber stehen jetzt die Janitsari, die Tänzer mit ihren weißen Masken.

Wie es in der schwäbisch-alemannischen Fasnet häufig vorkommt, so gibt auch hier der Bürgermeister den Startschuss für den Umzug. Es gibt keine Wagen und keine Zugordnung, aber einen deutlichen Startschuss. Die Narren warten geduldig auf das Zeichen des Bürgermeisters – und dann wird getanzt, die schwarzgekleideten Musiker sorgen mächtig für Lärm in der Stadt. Es scheinen festgelegte und abgesprochene Routen zu sein, die alle Gruppen aus Musikern, Janitsari und Boules abarbeiten. Immer wieder kommt es auf den teilweise recht hügeligen Straßen und Gassen zu manchmal sehr sportlichen Tanzeinlagen, wobei die Masken mit ihren winzigen Sehschlitzen und das schiere Gewicht der Kostüme die Übungen naturgemäß erschweren. Vor allem die Münzen, mit denen die Kostüme der Janitsari über und über bedeckt sind, bringen Gewicht an die Körper. Oft halten die Tänzer Tanzen ihre Säbel in die Luft, zumeist an der Klinge. Die Schuhe sehen nebenbei auch alles andere als bequem aus. So tanzen sie gemeinsam durch die Stadt, durch die sich ansonsten Autos zwängen. Jetzt gehört Naoussa den Menschen und ihren traditionellen Tänzen, die geschmückte Innenstadt ist für den Verkehr gesperrt.

Das Abnehmen der Larve ist für die Janitsari an den beiden Sonntagen ein Tabu. Abends aber, da zählt es zum Ritual, sich zu offenbaren. Auf einem Platz im Zentrum nehmen die Narren dann die Masken vom Gesicht – erschöpft, man sieht es, wenn Reste des Honigwachses von den Gesichtern gewischt werden, mit dem die Masken morgens angeklebt wurden. Als würden sie sich plötzlich erkennen, fallen sich die Narren gerührt in die Arme.

Jetzt, am Abend, wird vor allem gelacht, gegessen und getrunken. Fleisch wird gereicht, dazu gibt’s viel Wein – und Schnaps. Der regionale Wein ist berühmt, zumeist wird Mavro Naoussis eingeschenkt, der ist rot und schwer. Und neben Ouzo gibt’s auch Tsipouro: Der wird aus Weinmaische gebrannt, dann aber mit Anis versetzt. Jetzt rücken die Narren in den Hintergrund, dafür werden die Gäste ausgequetscht: Wo kommt ihr nochmal her?

Am Sonntag darauf wiederholen sich die Rituale nahezu identisch. Allerdings liegt da der Beginn der Fastenzeit zum Greifen nah, was die Stimmung etwas trübt. Die beginnt ja am orthodoxen Rosenmontag – und an jenem Tag ist wiederum einiges anders. Zunächst tragen die Janitsari keine Masken mehr. Sie tanzen zwar, aber man sieht ihre Gesichter. Und es gibt kein Fleisch mehr, nicht einmal Eier oder Milch sind anzutreffen in der Öffentlichkeit Naoussas. Es gibt auch keinen Fisch. Nein – aber Meeresfrüchte sind erlaubt. Tintenfische, Kraken, Garnelen. Rogen, Muscheln, Langusten. Hier und da sogar Hummer. Dazu Gemüse, geschmort, angebraten, gekocht, auch an Obst ist kein Mangel – und abgerundet wird das Ganze mit pappsüßem Halva. So laut, deftig und süß kann die Fastenzeit sein.

Naoussa ist übrigens auch außerhalb des Apokries sehenswert. Mit immerhin rund 30.000 Einwohnern ist die Stadt eine Metropole der Region. Thessaloniki, Griechenlands zweitgrößte Stadt, ist keine hundert Kilometer entfernt. Mit Touristen sind die Menschen hier auch außerhalb ihres Karnevals vertraut: Rund um den Berg Vermio mit gut zweitausend Metern sind mehrere Skizentren angesiedelt. Auch das Meer ist nicht sehr weit weg – wer diese Kombination zu bieten hat, braucht sich kaum Sorgen um Besucher zu machen. Dazu noch eine gastfreundliche Bevölkerung und eine Stadt, die mit uralten Platanen und dem „Hain des Heiligen Nikolaus“ in den Reiseführern als lebendiges Museum bezeichnet wird.

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